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Deine Firma ist doof

Die Karriere ist gleichermaßen für viele Arbeitnehmer und Unternehmen wichtig. Über die berufliche Tätigkeit erlangt der Bewerber seine Identifikation in der Gesellschaft. Ein "Dipl. Ing." oder "Dr." vor dem Namen macht Eindruck. Für Unternehmen bedeutet das Streben nach beruflicher Identität eine hohe Arbeitsmotivation. Der Fachkräftemangel in handwerklichen Berufen trägt dem Rechnung. Wer kann, erlangt nicht nur eine berufliche Qualifikation, sondern soziale Würden gleich mit dazu. Ob das Fachgebiet denn nun der Traumjob ist, ist zweitrangig.

Es ist ungefähr so, wie mit dem Vehikel, mit dem man sich blicken lässt: man investiert viel, nicht für ein Beförderungsmittel, sondern für sozialen Status. Vielen Menschen ist das unheimlich wichtig. Genauso verhält es sich auch mit der beruflichen Tätigkeit.

Manche Ärzte kann man schon bedauern. Von Elternhaus, Familie, Freundeskreis und Gesellschaft genötigt, erlernen sie einen Beruf, dem sie überhaupt nichts abgewinnen können. Fertig ausgebildet steht man dann vor der Pokerfrage: "Wenn ich so hoch gebluffed habe, kann ich doch nicht mehr aussteigen. Und selbst wenn, was stattdessen?"

Statistiken beruhen ja immer auf der Art der Fragestellung und ob dabei die eigene Identität 'auf's Spiel gesetzt' wird. So wird eine betriebliche Umfrage bessere Ergebnisse liefern, als eine anonyme Online-Umfrage. Nur als Beispiel sei der folgende Artikel verlinkt.

Man strengt sich nicht an für den Job, den man hat, sondern für den, den man will. Und so lautet die berechtigte Frage bei Jobinterviews, welche beruflichen Ziele man hat. Offensichtlich kann demnach die Frage nach der Freude an der eigentlichen Tätigkeit keine zufriedenstellende Antwort über die Mitarbeitermotivation geben. Stattdessen wird der berufliche Werdegang und der Ausbildungsweg als hinreichendes Maß der Eignung für einen Jobtitel herangezogen.

Man muss die "Personaler" auch verstehen: Sie sind für eine gemachte Einstellungsentscheidung verantwortlich und im Zweifelsfall muss nachvollziehbar sein, warum diese Entscheidung getroffen wurde. In so einem Fall muss eine Eignung belegt werden, eben durch einen lückenlosen Werdegang und möglichst viele und gute Zertifizierungen und Referenzen.

Eine Erzählung legt somit den Idealfall nahe: 'bewirbt man sich nicht - man wird beworben'. Besonders in den neuen Zeiten der sozialen Medien, ist man schon "die zweite Wahl", wenn man sich bewerben muss. Noch überspitzer formuliert, muss man sich noch deutlich mehr ins Zeug legen, wenn einem nicht eine Traube von Headhuntern an der Socke klebt.

Nur, wer bringt es so weit? Kommentare unter Bewerbungstipps-Videos legen nahe, dass einige, wenn nicht viele, gar kein Interesse an einer beruflichen Karriere haben, denn das bedeutet, dass man sich 24/7 der beruflichen Aufgabe und im Idealfall der Firma verschreibt. Das heißt, nicht nur 12 Stunden präsent sein und "seinen Job machen", sondern sich auch noch mit anderen um die nächste Karrierestufe kloppen. Das Geld, das dann natürlich reichlich fließt investiert man dann in teures Equipment und exclusiven Urlaub und heischt nach Bestätigung, Wertschätzung und Neid im sozialen Umfeld.

In den hochkapitalistischen USA ist es allgemein akzeptiert, dass das Leben dazu da ist, "nach Glück zu streben", was bedeutet, dass man sich das Glück erarbeitet. Was Glück, in zweiter Übersetzung, Zufriedenheit bedeutet, sagt einem das eigene Interesse, nach dem sich die Medien richten: Wer ist der reichste Mensch, wer bekommt den Nobelpreis, wer hat das exklusivste Equipment - alles Dinge, die einen enormen Aufwand bedeuten. Und Glück, im Sinne von Zufall.

Die gauß'sche Glockenkurve mit ihrem Bauch in der Mitte und der Abflachung zu den Seiten kann man in vielen Bereichen beobachten. So auch beim Erfolg. Um Astronaut zu werden, muss man sich gegen tausende, wenn nicht zehntausende Bewerber durchsetzen. "Oft sind es nur Nuancen, die über die Einstellung entscheiden." Wie sucht man unter zehntausend etwa gleich geeigneten Kandidaten den richtigen aus?

Wenn man sich mal die Mühe macht und unter der Oberfläche der beworbenen Musiktitel nach Stücken sucht, denen nicht alle hinterherrennen, wird man feststellen, dass viele einem aus unterschiedlichen Gründen nicht gefallen und man diese recht schnell aussortieren kann. Mögliche, nicht ganz üble Kandidaten setzt man auf eine Liste, um sie später noch einmal durchzugehen und weiter einzuschränken - man will ja sein Budget nicht überschreiten. Am Ende bekommt man die 10 Besten für das angepeilte Budget von 30 Euro. Genauso machen es Personalmanager. Zumindest bei großen Firmen, denen alle nachlaufen.

Als Bewerber ist man Teil von "human resources", menschliche Quelle oder besser Personalressource übersetzt. Wenn nötig und vorhanden, bedient sich eine Firma daraus. Diese "Herabwürdigung" menschlicher Existenz könnte man kritisieren, trifft sie jedoch auf jeden zu. Auch Unternehmer oder Unternehmen mit idealistischen Ansätzen, müssen sich dem "herabwürdigendem" Wettbewerb stellen. Entweder hat man einen Chef oder Vorgesetzten, der sich unter Anführung erworbener Verdienste persönlich über seine Mitarbeiter stellt oder Kunden und Teilhaber, die einen für Fehlleistung abstrafen. 'Am besten reich sein und auf jeden scheißen können', lautet demnach das Verlangen und deshalb machen wohl alle den Wahnsinn mit. Den Wahnsinn Kapitalismus, das Streben nach Sorgenfreiheit, das Hamsterrad für die Meisten.

Firmen erwarten vom Bewerber höchste Motivation, zumindest sollte man als Bewerber fähig sein, diese möglichst authentisch zu heucheln. Letztendlich kann man in einem einstündigen Interview nicht zweifelsfrei die Motivation eines geübten Heuchlers herausarbeiten. Das weiß man natürlich auch. Wer jedoch ehrlich ist und mit durchschnittlichem Werdegang Sinnfragen stellt, deklassiert sich damit automatisch in der Weise, dass er oder sie eben nicht motiviert genug ist, für den, für die ausgeschriebene Rolle und über den angepeilten Zeitraum hinweg nötigen "professionellen Anstrich" zu sorgen. Also konkret, jeden Tag gute Laune und höchste Motivation für einen durchschnittlichen Job und eine durchschnittliche Firma zu heucheln.

Und das ist nicht nur schade, sondern auch notwendig, denn in der heutigen Arbeitswelt kann man schlecht mit Missmut von Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzten umgehen. Liegt das daran, dass alle nur vorgeben, Spaß zu haben, man nicht von einem schiefen Gesicht daran erinnert werden möchte und es einem dann schwerer fällt, selbst ein Lächeln aufzusetzen oder dass man von anderen erwartet zu tun, für das man selbst viel Mühe aufbringen muss? Das ist auch schon das ganze Ding zum Thema Burnout. Nicht die Arbeit an sich laugt aus, sondern das ständige Heucheln, wenn man doch bloß ganz normal sein möchte.

Wer hat schon seinen Traumjob, sein Hobby zum Beruf gemacht oder seine Berufung gefunden? Die Motivation, die man ehrlich haben möchte, das zarte Pflänzchen der Freude, die man dann doch der Arbeit abgewinnen will, wird jeden Tag zertreten von der täglich heraufzuziehen drohenden Frage, 'ob man denn mit seiner Arbeit nicht zufrieden ist'. Kann man noch von Nötigung sprechen oder muss man schon Erpressung sagen, wenn man gezwungen wird, jeden Tag die Realität zu leugnen?

Da kann man sich noch so auf den nächsten Urlaub freuen, nach der Arbeit in ein schönes Auto steigen, und selbst wenn einen eine glückliche Familie zum Feierabend begrüßt, 8, 10 oder 12 Stunden sind zusammen 40 bis 60 Stunden pro Woche und damit 30 bis 50% der Lebenszeit, das Wochenende eingerechnet. Dazu kommen noch Zurechtmachen für die Arbeit und Reiseweg.

Das war eben früher nicht so und deshalb gibt es auch das Burnout-Phänomen. Berechtigterweise. Das als Ausrede hinzustellen ist entweder Hohn, Ignoranz oder ein von Natur aus sonniges Gemüt. Und dafür gibt es nur eine Lösung: gerechte Verteilung.

Genauso wie man monetär versucht, das Schicksal auszugleichen, müssen auch die von Natur aus Glücklichen und die Glücklichen, die aus Fügung heraus zu Glück gekommen sind, dieses Pflegen und Erhalten, gerade aus Eigennutz in dem Sinne, dass sie anderen etwas davon abgeben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Mit dem Glück ist es nämlich genauso wie mit dem Geld: man will immer mehr davon. Nur, wer wie ein Staubsauger das eigene Glück, die eigene Zufriedenheit immer weiter steigern will, indem er andere dazu nötigt vorzugeben zu haben, was sie nicht haben, handelt schlicht falsch. Wie beim Geld muss der, der keins hat, Schulden machen, und wer Burnout hat oder auf dem Weg dahin ist, ist bereits tief verschuldet. Irgendwann kommt dann die Insolvenz, die Berufsaufgabe, das Jobcenter.

"Fordern und fördern", heißt es beim Jobcenter. Aber dabei ist das "Fördern" nur die Verpflichtung zu noch mehr "Fordern". In jedem kleinsten Betrieb ist eine Kultur angekommen, die nur noch fordert, ungeachtet dessen, oder noch schlimmer, wohl wissend, dass die eigentliche Tätigkeit, die Bezahlung, die Kompetenz oder Reflektionsfähigkeit des Chefs oder die Perspektive wenig Anlass zu Höchstleistung gibt. In dem Fall wird das dann einfach übergangen und ignoriert und mangelnde Motivation auf den Mitarbeiter geschoben.

"Es gibt keine Fachkräfte", "Ausbildungplätze nicht belegt", "der Markt ist leergefegt" - die Leute sind nicht dumm! Man kann auch mit Hartz4 glücklich sein, mehr noch: man sollte dazu aufrufen, sich kollektiv diesem Wahnsinn zu entziehen. Deine Firma ist nur Durchschnitt, der Job ist nur Durchschnitt, die Motivation ist mal gut, mal schlecht, die Kollegen sind auch nur Menschen, mein Gott!, ich will meinem Chef sagen können, dass er ein Arschloch ist oder sie... wasauchimmer und erwarten können, dass er oder sie das als Kritik auffasst und Chance zur Entwicklung und nicht einfach den oder die Nächste ins Auge fasst.

Es gibt keinen Fachkräftemangel! Es gibt noch viel zu viele "Human Resources", die verhindern, dass sich die schlimmen Zustände ändern. Eine oberflächliche Mitarbeitermotivation reicht nicht. Es muss möglich sein, nein, es muss gefördert werden, dass Unzufriedenheit an die Oberfläche kommen kann. Like-Kultur ist zur Leit-Kultur geworden. Es ist die Kapitalisierung der Seele, das Absaugen von Kapital von unten nach oben, mit dem Ergebnis steigender Gesundheitskosten und eben Fachkräftemangel.

Das Geld lockt, aber ich weiß nicht, ob ich heucheln will. Van Gogh war Zeit seines Lebens bettelarm. Jeden Cent hat er in Farbe gesteckt. Hochmotiviert. Begabt. Berufen. Aber eben auch ganz am Rand der Gauß'schen Glockenkurve. Man muss schon ein verdammt harter Hund sein, allen Widrigkeiten zum Trotz seinen eigenen Weg zu gehen. Oder vielleicht einfach nur dickhäutig oder faul genug. Wenn der Brunnen leer ist, ist der Brunnen leer oder man muss vielleicht einfach tiefer graben. Und wer es bis jetzt immer noch nicht verstanden hat: im übertragenen Sinne "gräbt man tiefer", indem man fragt: "Warum?".

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